Die persönliche Zuwendung Gottes

■ Worin besteht denn der grundsätzliche Unterschied zwischen der Philosophie als solcher auf der einen und der christlich-katholischen Religion auf der anderen Seite? Eine solche Frage ist sehr berechtigt. Denn obwohl die Philosophie sich ebenfalls mit der Gottesfrage beschäftigt und die Frage nach Seiner Existenz und Seinen Eigenschaften stellt bzw. stellen soll, gibt es bei ihr doch einen wesentlichen Unterschied zur christlichen Theologie und dem Glauben.
Denn in ihrer Beschäftigung mit der generellen Verfasstheit der Welt und unserer Existenz, die sie mit den Mitteln des menschlichen Geistes aufarbeiten und verstehen will, verbleibt sie doch auf der sog. theoretischen Ebene des grundsätzlich Möglichen. In der christlichen Religion geht es dagegen um die ganz konkrete Offenbarung Gottes in Zeit und Raum, um Seine persönliche Zuwendung an den einzelnen Menschen! Aus Theorie wird da gewissermaßen Realität, die jeder Mensch ganz konkret und persönlich erleben soll und kann.
Die zentrale Botschaft der Christlichen Offenbarungsreligion besteht ja darin, dass Gott real und konkret in die Menschheitsgeschichte eingegriffen hat, dass Er ein ganz echter Mensch geworden ist. Er hat unsere menschliche Natur angenommen, um sozusagen auf unsere menschliche Art und Weise mit uns zu kommunizieren und uns somit auch die Möglichkeit zu geben, Ihn überhaupt zu verstehen. „Niemand hat Gott jemals gesehen. Der Eingeborene, der Gott ist, der da ruht am Herzen des Vaters, Er hat uns Kunde gebracht.“ (Joh 1,18.) Wie sollten wir denn den ewigen und unsterblichen Gott auf konkret-persönlicher Ebene verstehen bzw. Ihn überhaupt wahrnehmen können, wenn Er sich nicht gewissermaßen vermenschlicht hätte? Und der Höhepunkt dieser „Vermenschlichung“ Gottes fand in Seiner Menschwerdung, in der Geburt Jesus Christi im Stall zu Bethlehem statt.
Der menschliche Geist selbst ist mit seinen Mitteln nur fähig, die grundsätzliche Frage nach der Existenz und den wesentlichen Eigenschaften Gottes auf grundsätzlich-theoretischen Ebene aufzuwerfen und zu behandeln. In der Christlichen Offenbarungsreligion wird aber aus dieser Theorie konkrete historische Realität um und Gott wird nicht mehr nur als graue Theorie wahrnehmbar, sondern als eine für den Menschen konkret erfahrbare Größe!
■ Das ganze Heilswirken Christi zeugt davon, dass Er sich jedem einzelnen von uns ganz persönlich zuwenden will. Zwar hat Er in Seiner Lehre sehr wohl auch allgemein gültige Grundsätze aufgestellt. So gilt da z.B. der Glaube an Ihn als die unabdingbare Voraussetzung und notwendige Bedingung für das Jünger-Sein. Denn wer nicht an Ihn als den Eingeborenen Sohn Gottes glaubt, kann weder Sein Jünger werden noch das ewige Leben erhalten. Aber zugleich wird man ein solcher Christ nicht allein schon dadurch, dass man etwa wie im Islam einen bestimmten Glaubenssatz einmal laut ausspricht und dann eben schon als ein Moslem gilt und von anderen anerkannt wird.
Im Christentum wird man ein Christ im eigentlichen Sinn des Wortes erst dadurch, dass Gott sich eines Menschen in einem ganz konkreten Fall Seiner persönlichen Zuwendung erbarmt! Denn darin besteht ja der tiefe Sinn und die enorme Bedeutung des Sakramentes der Taufe, dass Gott da die Schuld des Menschen geistig abwäscht und mit Seinen Erlösergnaden beschenkt und bereichert! Denn nach der Lehre der katholischen Kirche, die ja die von Jesus gestiftete Kirche ist, vergibt Gott in der Taufe sowohl die jedem Menschen mit seiner Zeugung anhaftende Erbschuld als auch alle zuvor begangenen persönlichen Sünden.
Somit vollzieht sich der Prozess des Christ-Werdens weder durch menschliches Nachdenken noch die daraus gezogenen logischen Schlussfolgerungen, auch wenn eine solche (etwa auch philosophische) äußerst wertvolle Geistesleistung ein ehrliches Suchen nach Gott bedeuten kann und dem betreffenden Menschen das Finden des wahren Gottes erleichtern kann. Nicht das eigene Wirken des Menschen ist hier die primäre, eigentliche und entscheidende Ursache seines Erlöst-Werdens, auch wenn natürlich der Mensch unbedingt auch seinen Teil dazu beitragen muss, sondern das sich erbarmende Handeln des menschgewordenen Gottes Jesus Christus an der in Sünden und geistiger Finsternis behafteten Menschheit – vor allem durch den liturgischen Dienst des geweihten katholischen Priesters!
Ferner erfolgt auch die Sendung des Heiligen Geistes an uns in einem jeweils konkreten Akt der persönlichen Zuwendung Gottes. Denn der Bischof legt da jedem Einzelnen von uns seine rechte Hand auf, salbt die Stirn mit dem heiligen Chrisma-Öl und spricht die entsprechenden Gebetsworte.
Viele Philosophen der vorchristlichen Antike strebten nach Weisheit und suchten die Erleuchtung. Aber immer wieder blieben sie im Diesseits stecken und konnten nicht zum wahren Göttlichen vordringen. Und erst als der Heilige Geist sich der Kirche am Pfingstfest in einem Akt der persönlichen Zuwendung mitgeteilt hatte, konnte der menschliche Geist unter Erleuchtung der göttlichen Gnade solche Erkenntnisse vom Wesen Gottes gewinnen, die im Vergleich zu vorher einen qualitativen Quantensprung bedeuten!
So vergibt Gott uns ja auch nicht irgendwie allgemein und unpersönlich unsere bewusst begangenen Sünden. Bei Vorhandensein von echter Reue kniet sich ja jeder von uns einzeln vor einem katholischen Priester nieder und bekennt ihm seine Schuld vor Gott und den Menschen. Wurde ja auch dieses Sakrament der Beichte ausdrücklich von Jesus eingesetzt, indem Er nämlich die Apostel am Tag Seiner Auferstehung von den Toten anhauchte und sprach: „Empfanget den Heiligen Geist. Wem immer ihr die Sünden nachlasst, dem sind sie nachgelassen; wem ihr sie behaltet, dem sind sie behalten.“ (Joh 20,22f.)
■ Die frühe Kirche besaß ein sehr lebendiges Bewusstsein darüber, dass Taufe, Firmung und Beichte in einer inneren Verbindung zum hl. Messopfer und dem Altarssakrament stehen bzw. auf dieses bezogen sind. In der Taufe wurden dem Menschen seine Sünden abgewaschen und er wurde zum Kind Gottes. In der Firmung sollte dem Menschen sowohl die Willenskraft im Kampf gegen die Sünde als auch sein Bekennermut gestärkt werden. Und hat er nach der Taufe wieder Schuld auf sich geladen, sollte sie ihm im Sakrament der Buße/Beichte vergeben werden.
Den Höhepunkt des Prozesses der Erlösung und Heiligung des Menschen bildet aber nach diesem frühkirchlichen Verständnis das Messopfer als der Bundesschluss zwischen Gott auf der einen und der jeweiligen menschlichen Seele auf der anderen Seite! Taufe, Firmung und Buße haben und erhalten sehr wohl ihren heilsrelevanten Wert und ihre enorme Bedeutung. Aber dennoch dienen sie gewissermaßen auch erst als Ermöglichung der höchsten Stufe der geistigen „Ehe“ der Seele mit ihrem Schöpfer und Erlöser – des Eingehens des neuen und ewigen Bundes!
Das Mysterium des Lebens eines Christen besteht ja darin, dass der Mensch geistig mit Christus stirbt, in dem er auch der Sünde abstirbt, um dann auch mit Christus geistig zu einem neuen Leben in der Gnade Gottes aufzuerstehen. Dabei hat es Jesus offensichtlich als ungenügend angesehen, dass wir, Menschen, etwa nur die Predigt vom Leiden und Sterben Jesu hören und ein gewisses Mitleid mit Ihm empfinden, was natürlich auch schon nicht wenig ist.
Denn Er setzte ja darüber hinaus noch das Messopfer ein, gewissermaßen zusätzlich, welches Er zunächst selbst feierte und anschließend den Aposteln den ausdrücklichen Befehl gab: „Tut dies zu meinem Andenken“ (Lk 22,19). „Das ist der Leib, der für euch hingegeben wird. Tut dies zu meinem Andenken.“ (1 Kor 11,24.) „‘Dieser Kelch ist der Neue Bund in meinem Blut. Sooft ihr ihn trinket, tut dies zu meinem Andenken.‘ Denn sooft ihr dieses Brot esst und den Kelch trinkt, feiert ihr den Tod des Herrn, bis Er wiederkommt.“ (1 Kor 11,25f.)
Also ist die liturgische Feier des Messopfers nicht nur eine mentale Erinnerung an das Heilswirken Jesu, die der gleichkommen würde, wenn wir heute davon lediglich im Evangelium nachlesen würden. Das Entscheidende an der liturgischen Messfeier ist, dass da tatsächlich und real, wenn auch auf eine sakramental-verborgene Weise, das historische Opfer Jesu am Kreuz gegenwärtig gesetzt wird, damit jeder Einzelne von uns sich ebenfalls mit Ihm im Opfer vereinigen und somit der Sünde absterben kann - als eine real-konkrete Tat! -, um dann auch die geistige Auferstehung zu erfahren, was dann am stärksten seinen Ausdruck im Empfang des kostbaren Leibes Jesu Christi in der Eucharistie findet!
Die Muttergottes, Maria Magdalena und die übrigen frommen Frauen unter dem Kreuz haben ja nicht nur allgemein und prinzipiell, sondern da in einem ganz konkreten Akt mit Jesus mitgelitten und ihre Liebe zu Ihm mit Seinem Opfer für die Sünden der ganzen Welt verbunden. So wird auch uns im hl. Messopfer, welches auf den Altären der wahren katholischen Kirche gefeiert wird, die Möglichkeit geboten, mit Ihm in einem ganz konkreten Akt mitzuleiden und unsere Liebe zu Ihm mit Seinem Opfer für die Sünden der ganzen Welt zu verbinden!
Selbstverständlich muss dann auch unser ganzes Leben davon inspiriert sein und der betreffenden Grundhaltung entsprechen. Aber nach der Anordnung Jesu Christi bzw. wegen Seiner Einsetzung der hl. Sakramente und der hl. Messe sind diese die konkrete Kristallisierung und Realisierung des Gnadenwirkens Gottes an uns. Zwar können bestimmte Gnaden nach dem unergründlichen Ratschluss Gottes auch auf anderen Wegen geschenkt werden. Aber wer wollte es bitte wagen, den ausdrücklichen Anordnungen unseres Erlösers Jesu Christi etwa auch auf die Weise zuwiderzuhandeln, dass er sie geringachten, geschweige denn gänzlich missachten wollte?
Die enorme heilsrelevante Bedeutung des hl. Messopfers unterstreicht der hl. Apostel Paulus auch mit den folgenden Worten: „Wer daher unwürdig das Brot isst oder den Kelch des Herrn trinkt, der versündigt sich am Leibe und Blute des Herrn. … Denn wer unwürdig isst und trinkt, ohne den Leib des Herrn (von gewöhnlicher Speise – Anm.) zu unterscheiden, der isst und trinkt sich das Gericht.“ (1 Kor 11,27-29.)
Jedenfalls bietet uns die hl. Messe eine Gelegenheit dazu, dass wir Jesus persönlich begegnen und unseren Glauben an Ihn, unsere Hoffnung auf Ihn und unsere Liebe zu Ihm angesichts des von Ihm konkret vollzogenen Akts der Erlösung ebenfalls konkret erneuern und bekräftigen. Darin vollzieht sich dann eben der Neue und Ewige Bund, dass sich nämlich beide Seiten gegenseitig in Liebe und Treue einander hingeben – als geeignetstes Forum dafür wurde von Jesus Christus Sein Liebesopfer für die Menschen erwählt!
Wie sich liebende Eheleute nie damit zufriedengeben würden, sich sozusagen auf Distanz zu lieben, wie die Eltern sich immer danach sehnen, ihre Kinder zu Gesicht zu bekommen und zu umsorgen, wie echte Freunde sicher eine Freude darüber empfinden, sich immer wieder zu treffen und persönlich auszutauschen, so entspricht es auch unserer menschlichen Natur, dass wir in ganz konkreter persönlicher Begegnung mit unserem Erlöser den lebenspendenden Bund mit Ihm schließen und erneuern!
Der Sinn der hl. Messe besteht somit letztendlich darin, dass ich da Jesus persönlich erfahren und erleben kann. Und zwar nicht nur indem Er etwa allgemein und theoretisch über göttliche Dinge reden würde, sondern ausdrücklich indem Er sich ganz konkret und persönlich meiner in Seinem Liebesopfer für das Leben der Welt erbarmen möchte – göttliche Liebe nicht in Theorie, sondern in der Tat!
Wie viele der Zeit- und Volksgenossen Jesu danach strebten, Ihm möglichst auch persönlich zu begegnen, weil sie zuvor einiges über Seine wundersamen Taten gehört hatten, so sollten auch wir uns dadurch für eine bisweilen sogar etwas längere und anstrengendere Fahrt zur Sonntagsmesse motivieren, dass wir da ebenfalls in die allergütigsten Augen Jesu schauen können – indem Er nämlich im liturgischen Vollzug des hl. Messopfers mir Seine ganz persönliche Liebe schenkt!
Es ist immer gut, wenn wir das Neue Testament zur Hand nehmen und darin lesen, oder wenn wir uns etwa auch anhand anderer religiöser Literatur ernsthafte Gedanken über Gott und die Welt machen. Jemand, der entsprechend qualifiziert ist, kann auch aufgrund seiner Beschäftigung mit gesunder Philosophie sinnvolle Impulse für das religiöse Streben nach dem absoluten Wert der Liebe Gottes kann auch gewinnen. Die echte, wahre und eigentliche Begegnung mit Gott erfahren und erleben wir aber erst in Seinem konkreten Erbarmen mit uns – in Seiner konkreten Gnadenmitteilung an uns in den hl. Sakramenten und dem hl. Messopfer als dem liturgischen Vollzug des Bundesschlusses zwischen Gott und dem Menschen!
■ Am 15. April 2019, dem Montag in der Karwoche, brannte ja das Dachgestühl der weltberühmten Kathedrale Notre Dame in Paris in Frankreich. Vieles ist da eingestürzt und zerstört worden, was auch die allermeisten Christen und nicht wenige sonstige anständige Menschen erschüttert hat.
Wenn man sich aber nun ein Foto von den betreffenden Zerstörungen im Hauptschiff und im Altarraum der Kathedrale anschaut, fällt einem auf, dass das allermeiste Gebälk auf den Novus Ordo „Altar“ heruntergefallen ist und diesen praktisch gänzlich zerstört hat. Dagegen ist aber der Hochaltar, auf welchem das wahre hl. Messopfer seit mindestens 800 Jahren gefeiert worden ist (der Chor der Kathedrale wurde nach Fertigstellung im Jahr 1182 geweiht) praktisch komplett heil geblieben.
Ist es ein klares und eindeutiges Zeichen Gottes? Wir können es nicht ganz genau wissen und mit letzter Sicherheit behaupten. Dennoch ist es interessant, dass die Stelle und Stätte, an welcher seit vielen Jahrhunderten das wahre Messopfer zelebriert worden ist, nicht unter dem hoch lodernden Feuer der Dachkonstruktion der Kathedrale gelitten hat und dadurch beschädigt worden ist. Zur gleichen Zeit ist das allermeiste verbrannte Gebälk ausgerechnet auf die Stelle heruntergefallen, wo der Zelebrationstisch der „neuen Messe“ stand, wobei auch die vorderen Bänke der Gläubigen im Hauptschiff kaum zerstört worden sind!
Es mag sich jeder selbst seine Gedanken darüber machen. Jedenfalls wird jeder Katholik, der sowohl Jesus Christus als auch Seine Kirche und die Sakramente als die konkret-persönliche Kristallisierung des Erbarmens mit uns und der Gnadenspendung Gottes liebt und schätzt, sich noch mehr motiviert sehen, bisweilen auch längere und anstrengendere Wege in Kauf zu nehmen (im Rahmen des Zumutbaren natürlich!), um die hl. Sakramente zu empfangen und dann v.a. beim liturgischen Vollzug des Opfers des Neuen und Ewigen Bundes nicht nur die konkrete Liebe Christi zu erfahren, sondern Ihm dann auch selbst die eigene echte Liebe zu schenken!

P. Eugen Rissling

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